Putins Deal mit dem Westen oder der Preis der Freiheit

Ukraine-Krieg / Russland / Wladimir Putin / Weltrechtsprinzip /Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: DimitroSevastopol; https://pixabay.com/de/photos/putin-der-pr%c3%a4sident-russland-5277284/ Ukraine-Krieg / Russland / Wladimir Putin / Weltrechtsprinzip /Quelle: Pixabay, lizenzfreie Bilder, open library: DimitroSevastopol; https://pixabay.com/de/photos/putin-der-pr%c3%a4sident-russland-5277284/

Insgesamt 26 Menschen sind beim größten Gefangenenaustausch zwischen Ost und West seit 1990 freigekommen. Putin presste auch einen seiner Auftragskiller frei.

Für die Bundeskanzler Helmut Schmidt und Helmut Kohl stand fest: kein Gefangenenaustausch! In der Hochzeit der Roten Armee Fraktion (RAF) standen Spitzenvertreter aus Politik und Wirtschaft im Fadenkreuz der linken Terroristen. Mit der Entführung und Ermordung des BDI-Chefs Hanns Martin Schleyer erreichten die Anschläge um die RAF ihren Höhepunkt. Helmut Schmidt ließ sich nicht von den Forderungen erpressen, die in Haft sitzenden RAF-Mitglieder um Andreas Baader und Ulrike Meinhof gegen Schleyer auszutauschen. Wie er es für sich selbst und seine Frau bestimmt hatte, durfte der Staat sich nicht erpressen lassen. Die Wahl im Falle einer Entführung war: Befreiung oder Tod. Ist die Bundesregierung bei dem Tauschhandel mit Putin von dieser Linie abgewichen?

Neue Vermittler

Olaf Scholz und Joe Biden zeigten sich dankbar und erleichtert, dass die westlichen Gefangenen oder besser gesagt Geiseln aus Putins und dessen Vasall Lukaschenkas Gewalt freigekommen sind. Vorausgegangen waren langwierige diplomatische Verhandlungen, in denen der türkische Präsident Erdogan eine Vermittlerrolle spielte. In seiner üblichen Großspurigkeit beansprucht er der den Erfolg nun völlig für sich und sieht in Ankara das neue diplomatische Zentrum zwischen West und Ost. Der Austausch hat sicherlich mehrere Paten, allerdings balanciert Erdogan seit längerem äußerst geschickt zwischen den verfeindeten Systemen.

Es ist klar, dass wir in einem neuen Kalten Krieg mit einigen heißen Konflikten leben. Der Austausch via Ankara erinnert an die Szenen auf der Glienicker Brücke in der Hochphase des Kalten Krieges der 1980er Jahre. Damals tauschten USA und Sowjetunion fast ausschließlich ihre jeweiligen Spione aus. Heute sind darunter vor allem Journalisten oder Oppositionspolitiker, die sich gegen die autoritären Regierungen Russlands und Weißrusslands stellen. Aus dem früheren Austausch der Spione ist ein Kuhhandel mit politischen Gefangenen geworden. Haben sich die Bundesregierung die ihre Verbündeten moralisch auf die richtige Seite gestellt? Oder liegt es im persönlichen Ermessen des jeweiligen Regierungschefs, was moralisch vertretbar ist?

Die Moral vom Deal

In der westlichen Gesellschaft gibt es die eine Moral ohnehin nicht mehr. Das mag Immanuel Kant noch anders gesehen haben, aber wo eine alles bestimmende Moral vertreten wird, versteckt sie sich meist hinter der Maske der Doppelmoral. Auch in der Außenpolitik der wertegeleiteten Ampel-Koalition zerschellt dieser Anspruch an den realpolitischen Klippen. Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien sind annehmbar, jedoch Geschäfte mit Russland nicht mehr? Spätestens mit dem Bückling von Wirtschaftsminister Habeck vor dem Emir von Katar ging die feministische Außenpolitik im Persischen Golf baden.

Wenn die gesellschaftlichen (westlichen) Eliten heute von ihren moralischen Überzeugungen sprechen, meinen sie ihre eigene Sozialisation. Also die Erziehung, die überlieferten Werte ihrer Kultur, die je nach persönlicher Lebenserfahrung weitergetragen oder neu bestimmt werden. Und derzeit werden sie im Westen fast täglich neu bestimmt. Die entscheidende Frage lautet daher: Darf oder muss der Staat Zugeständnisse machen, um das Leben entführter oder gefangener Unschuldiger zu retten?  

Aus Sicht der betroffenen westlichen Staaten wie Deutschland oder die USA handelt es sich bei ihren Staatsbürgern weniger um rechtmäßig verurteile Inhaftierte, sondern mehr um politische Geiseln der Autokraten in Moskau und Minsk. Die westlichen Regierungen gehen noch einen Schritt weiter und sehen bei Putin und Lukaschenka Staatsterroristen am Werk, die mit den Mitteln der Drohung, Erpressung oder wie bei dem Deutschen in Minsk mit der Todesdrohung arbeiten. Eine schlüssige Definition von Terrorismus ist einfach: Er hängt nicht von den Zielen ab, sondern von den eingesetzten Instrumenten.

Eine politisch motivierte Androhung, Unschuldige zu töten, ist ein ausreichendes Indiz für terroristisches Handeln. Da es sich bei der russischen oder weißrussischen Justiz um den verlängerten Arm ihrer diktatorischen Regierungen handelt, kann nach dieser Einordung von terroristischen Akten gegen die westlichen Gefangenen gesprochen werden. Hinzu kommt, dass der des Mordes überführte und zu lebenslanger Haft verurteilte russische Geheimagent Wadim Krasikow ebenfalls ausgetauscht wurde. Eine bittere Pille für Berlin und ein Triumpf für Putin, der dessen Auslieferung als unverzichtbar forderte. Haben jetzt alle bekommen, was sie wollten?

Bis zum nächsten Mal

Wenn es nach dem russischen und türkischen Präsidenten geht: ja! Putin inszeniert sich als Sieger gegenüber dem für ihn dekadenten Westen und erhält als Trophäe den Tiergarten-Killer. Aus Sicht Moskaus hat er zum Wohle des Staates gehandelt und einen Feind beseitigt. Für Erdogan bot sich erneut die Rolle des „ehrlichen Maklers“, eines Brückenbauers zwischen den neuen alten Blöcken. Eine Funktion, die nach dem ersten Kalten Krieg Deutschland, insbesondere gegenüber Russland, spielen wollte. Sie ist vorerst verspielt, vielleicht sogar für immer. Daher gehört vor allem Deutschland politisch zu den Verlierern und bewegt sich mit solchen „Geschäften“ moralisch auf dünnem Eis.

Ob diesem Gefangenenaustausch weitere folgen, ob Putin den Preis nach oben schraubt, vielleicht als Vorspiel für Verhandlungen über einen Waffenstillstand in der Ukraine, bleibt abzuwarten. Eines steht fest: Das Mantra, dass mit (Staats-)Terroristen nicht zu verhandeln oder dass die Würde des Menschen unantastbar sei, gehört mit diesem Deal definitiv der Vergangenheit an.

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Ketzerlehrling
Ketzerlehrling
1 Monat her

Von Moral sollte man in der Politik grundsätzlich nicht sprechen, die ist nicht existent. Allerdings ist die heutige Generation der Politdarsteller nicht nur amoralisch, sind sind einfach das Allerletzte, was man als Menschendarstelle sein kann.

fufu
fufu
1 Monat her

Zumindest hat der deal deutlich gemacht, dass der ehemalige KGB-Agent Putin wie alle Geheimdienste und deren Frontmaenner vor politischem Mord nicht zurueckstreckt. Putin hat seinen Auftragskiller gar als Patrioten gepriesen. In diesem Fall hat Putin seine Maske als besserer Staatsmann fallen lassen. Die hiesigen „Patrioten“ und Putin-Fans moegen sich vorsehen.

Nathan
Nathan
1 Monat her

Daß der Terrorstaat Israel am laufenden Band Auftragsmörder, wie erst wieder jüngst, einsetzt, wird im „Wertewesten“ natürlich nicht so benannt. Aber unsere „Staatsräson“ erlaubt ja alles, ohne jegliche Kritik. Dafür wird vom „Boulevard-Journalisten West“ hier dazu noch Erdogan als Vermittler kritisiert statt ihn zu loben, genauso wie der lobenswerte Orban der EU und Deutschland die rote Karte zeigt. Aber statt Diplomaten haben wir ja nur umerzogene Trampel in der Regierung und der CDU.

Johann Stöckli
Johann Stöckli
1 Monat her

Einen grandiosen Sieg und Triumph hat Wladimir Putin, Präsident der Russischen Föderation eingefahren! Er hat die verlogene Mischpoken-Regierung in Berlin vor aller Öffentlichkeit blamiert und blossgestellt bis auf die Knochen.   Diese hat dem angeblich armen und verfolgten Asylanten namens Selimchan Changoschwili aus dem Kaukasus – obschon als vielfacher Mörder und gewaltsamer Terrorist bekannt – grosszügig ein Aufenthaltsrecht eingeräumt in der Absicht, damit Russland und den Präsidenten als Unrechtsperson und Verfolger darzustellen und zu beleidigen.   Der eingereiste Rächer aus Russland, Wadim Krasnikow, hat aber zu Recht diesen Asylanten-Terrorist beseitigt, wurde aber leider erkannt und festgenommen. In einem inszenierten Schauprozess… Read more »

fufu
fufu
Reply to  Johann Stöckli
1 Monat her

Ich kenne den Sachverhalt nicht, sei der Betreffende Terrorist oder Freiheitskaempfer je nach Voreinstellung, gezielte Toetungen ohne Gerichtsverfahren sind in zivilisierten Laendern abzulehnen. Wahrscheinlich befuerworten Sie auch Ehrenmorde oder die gezielte Ermordung politischer Gegner durch Israel.

fufu
fufu
Reply to  fufu
1 Monat her

👎👎Haha. Klar kann man mit „Patriotismus“ alles moegliche rechtfertigen, z.B. Mord am politischen Gegner. Deshalb halte ich mich von solchen Elementen fern.

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