Bayreuther Wagner-Kult, Weltpolitik und die grüne Axt

Wagner-Festspiele in Bayreuth / © Steven West Wagner-Festspiele in Bayreuth / © Steven West

Kein Musikfestival ist umstrittener als Bayreuth. Politische und persönliche Betrachtungen vom Grünen Hügel der Richard Wagner-Festspiele.

Das Bayreuther Publikum repräsentiert nicht unser Volk. Unser Volk ist anders. Unser Volk braucht eine andere Kunst. Die Kunst in Bayreuth ist nichts für unser Volk. Wir wissen, welche Kunst unser Volk braucht“, so hat es die DDR-Kulturpolitik gegen die bürgerliche Kunst zusammengefasst. Für die SED standen die Richard Wagner-Festspiele für den dekadenten Lebensstil der Kapitalisten. Der Meisterkomponist war für sie der Inbegriff einer elitären Welt und überspannter Werke. Was die Genossen außer Acht ließen, war Wagners revolutionärer Geist, der sich in seiner Zeit als Meldegänger 1849 in Dresden zeigte und in seinen Kompositionen findet. Wagner und seine Festspiele faszinieren und stoßen ab zugleich bis heute.

Zu viel Staatsnähe?

Kulturstaatsministerin Claudia Roth arbeitet sich an Bayreuth ab. Nach ihrem Besuch bei einem Konzert des US-Stars Taylor Swift, die von ihren Fans genauso kulthaft verehrt wird, wie bei den Anhängern Wagners, begeisterte sich die Grüne: „Das Publikum von morgen wird in unserem Land, das nach Europa und in die Welt ausgerichtet ist, noch vielfältiger sein, als es heute schon ist. Darum sollten wir uns alle im Kulturbereich stärker kümmern.“ Mit dem Publikum von morgen hat sie die Besucher Bayreuths fest im Blick.

Ähnlich wie die SED-Schelte möchte Roth das Volk erziehen oder einen Publikumswandel am Grünen Hügel erreichen. Ihre Idee, auch andere Komponisten als Wagner im Festspielhaus aufzuführen erregte die Gemüter. „Bayreuth sollte insgesamt vielfältiger, bunter und jünger werden“, äußerte die oberste Kulturbeauftragte. Ganz im Sinne der Grünen, die alle Facetten der Gesellschaft transformieren wollen. Sie hatte auch gleich einen Vorschlag parat: Wie wäre es mit Engelbert Humperdincks Oper „Hänsel und Gretel“, da sie von Wagners Musik inspiriert sei.

Für ein jüngeres Publikum könnte das Werk durchaus sorgen, was mit dem märchenhaften Sujet zu tun haben dürfte. Aber auch ohne Märchen sind mir am Hügel vereinzelt Kinder, einige Jugendliche und nicht wenige Gäste in ihren 20ern über den Weg gelaufen.

Roths erster Testballon für Reformvorschläge platzte schnell, da der Applaus seitens der Musikwelt äußerst mau ausfiel und vor allem die Satzung der Richard Wagner-Stiftung dagegen steht. Ganz wie Wagner es verfügte, dürfen allein seine Werke am Grünen Hügel aufgeführt werden. Und nicht einmal alle – die beiden Frühwerke „Die Feen“ und „Rienzi“ müssen draußen bleiben. Warum, das Geheimnis hat der Musik-Titan mit in sein Grab genommen, das im Garten der Villa Wahnfried den Besuchern zugänglich ist.

Teure Träume

Claudia Roth möchte die Wagnersche Erlebniswelt aufsprengen. Für die politische Linke ist der Komponist seit der Verehrung durch Adolf Hitler höchst verdächtig. Bis heute dürfen seine Werke in Israel nur mit Ausnahmegenehmigung und dann ausschließlich konzertant aufgeführt werden. Andererseits gehören Juden weltweit zu den glühendsten Wagnerianern, wie die Mitgliederzahlen der zahlreichen Richard Wagner-Gesellschaften zeigen.

Diesen Aspekt blendet Roth genauso aus wie die nach wie vor die hohe Auslastung der Festspiele. Für die Saison 2023 betrug das Budget 28 Millionen Euro, wovon 15,2 Millionen aus dem Kartenverkauf stammen. Roths Etat leidet nicht unter der Haushaltskrise, er ist sogar um 50 Millionen auf 2,2 Milliarden angewachsen. Der Bund ist mit 36 Prozent an der Bayreuther Festspiele GmbH beteiligt und hat seine Anteile aufgestockt.

Rund 4 Millionen steuert Roths Haus dem Musikfestival bei, was in der linken Kulturszene regelmäßig für genervte Gesichter sorgt. Es fehle Geld bei den kleinen Festivals und die Off-Theaterszene, die den Grünen am Herzen liegt. Dabei vergessen sie, dass die Bayreuther Festspiele ein Weltereignis für Musikbegeisterte sind und eine Menge Geld nach Bayern und vor allem in die wirtschaftsschwache oberfränkische Provinz bringen.

Die Eröffnung der Bayreuther Festspiele sind alljährlich ein Stelldichein der deutschen und internationalen Politik, die das verschlafene Nest für vier Wochen aus dem Dornröschenschlaf reißt. Bayreuth war von Anfang an politisch, nicht erst seit Hitler oder der Wagner-Liebhaberin Angela Merkel. Ludwig II. von Bayern hat seinen Helden Wagner großzügig unterstützt, was jener ihm mit einer Büste vor dem Portal der Villa Wahnfried dankte. Bei den ersten Festspielen 1876 war Kaiser Wilhelm I. Ehrengast der Familie Wagner, die bis heute am Hügel mitdirigiert.

Wagners Opernwelt schlägt wegen der vielschichtigen Mythen und Sagen germanischen Ursprungs mit ihren zeitlosen Wahrheiten um Liebe, Verrat und Macht Musikliebhaber in den Bann. Aus genau denselben Gründen stoßen die Werke die Kritiker ab. Wagner lässt niemanden kalt – entweder Verehrung oder Ablehnung.

Bayreuth ist schon „bunt“

Deutschland gibt im internationalen Vergleich sehr viel Geld für seine Opern und Theater aus. Dafür hat das Land eine kulturelle Vielfalt, die ihresgleichen sucht: von den Thüringer Musentempeln, wie das hervorragende Staatstheater in Meiningen oder die Staatskapelle in Weimar, bis hin zu den großen Bühnen in Berlin, Düsseldorf und München. Deutschlands Ansehen ist in puncto klassischer Musik mit seinen Musiktheatern noch ungetrübt. Hier spielt das Land anders als auf anderen Feldern international noch eine große Rolle. Will Claudia Roth auch hier die grüne Axt anlegen?

Das Publikum von morgen ist längst in Bayreuth angekommen. Im Publikum sieht man Kinder im T-Shirt mit Wagner-Konterfei und Baseball-Kappe neben Alt-Wagnerianern am goldenen Rollator. Auf den Fotos sieht man immer die Smoking- und Abendkleid-Fraktion, aber zu den Aufführungen kommen eben auch Jeansträger mit Umhängebeuteln, Männerpärchen, Frauen für Wagner-Gruppen und nicht zuletzt Gäste aus aller Herren Länder über Japan, England bis Feuerland. Die Bayreuther Festspiele sind längst das, was Claudia Roth so dringend fordert: vielfältig, bunt und jünger. 

4.3
3
votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
guest
1 Kommentar
Inline Feedbacks
View all comments
fufu
fufu
13 Tage her

Die Disneyisierung Bayreuths.

1
0
Wie denken Sie darüber? Beteiligen Sie sich an der Diskussion!x